zitiert mit freundlicher Genehmigung durch die Autoren: 
        © 1998 "Recht Bekommen" von 
        RA Bohl 
        RA Herrmann 
        Dr. rer. nat. Merz 
        Dr. med. Ohnsorge

        Recht bekommen 
        Für Giftgeschädigte, die an MCS oder CFS erkrankt sind, ist die weitreichende soziale Absicherung, die das Recht in der Bundesrepublik Deutschland ansonsten für alle geschaffen hat, derzeit teilweise verwehrt. Dies betrifft vor allem die Kranken-, Renten- und berufliche Unfallversicherung sowie den generellen Anspruch auf Schadensersatz dem Verursacher gegenüber. 

        Warum ist das so und was kann man dagegen machen ? 

        Für Chemikaliengeschädigte gibt es keine AIDS-Hilfe, keine Fernsehspenden, keine öffentliche Lobby. Obwohl ihre Zahl weit über die der AIDS-Kranken, der leukämiekranken Kinder oder Creutzfeld-Jakob hinausgeht, werden sie gesellschaftlich so weitgehend ignoriert, daß sie als nicht existent erscheinen. 

        Die Würzburger Selbsthilfegruppe empfiehlt derzeit, Rechtsverfahren bleiben zu lassen. Leider ist dies angesichts des Stresses, der hohen Kosten und der Aussichten in vielen Fällen der richtige Rat. Wenn das Geld nur für die Gesundheit oder das Gerichtsverfahren reicht, hat ersteres den Vorrang. 

        Bei den hohen Kosten der Schadensbeseitigung, Expositionsminderung und Behandlungskosten, sind letztlich etliche existentiell darauf angewiesen, gerichtlich ihre Ansprüche durchzusetzen. Anwälte und Umweltmediziner drängen, daß effektive und professionelle soziale Hilfe für die Chemikaliengeschädigten institutionalisiert wird. 

        Im Sinne von Nachhaltigkeit und Zukunftsgestaltung ist es notwendig, daß die Rechtsentwicklung nicht noch länger an der Tatsache der Umwelterkrankungen vorbeigeht. In Amerika wurde MCS gerichtlich bereits 1987 anerkannt. Die MCS-Patienten sind seit 1992 vor Diskriminierungen geschützt (Americans with Disabilities Act, 1992). 

        Recht bekommen ist aber harte Arbeit. 

        Das Problem - die Gesellschaft ignoriert die Krankheit  

        "MCS" oder "CFS" ist in Deutschland noch nicht als Krankheit anerkannt, weder im medizinischen noch im juristischen Sinn. 

        Das liegt zum Teil an der Komplexität der Umwelteinflüsse und der pathologischen Reaktionen. Es gibt wenigstens 26 Definitionen. Im Standardwerk von Prof. Rea wird Chemical Sensitivity auf 3000 Seiten beschrieben (das Werk ist keineswegs ausführlich). Eine offene sachliche Diskussion darüber wird aber gesellschaftlich verweigert. 

        Eigentlich müßte diese Diskussion nun ersatzweise vor Gericht stattfinden. Die Gerichte werden sich aber demgegenüber verweigern. Den Patienten ist dies auch nicht zuzumuten und sie wären auch mit den besten Gutachtern finanziell, organisatorisch und generell überfordert. Diejenigen, die es trotzdem versuchen, sind schlecht beraten. 

        Am Ende wird man auch in Deutschland MCS akzeptieren. Dies ist wissenschaftlich international längst entschieden. Deshalb ist der Versuch einer gesellschaftskonformen Definition völlig mißraten: 

        "IEI" = "Umwelterkrankung unbekannter Ursache"  
        ist offensichtlich Unsinn und hat international nur Spott geerntet: 
        "Ideological Equivalent of Incompetence" . Doch dies ist derzeit nur ein schwacher Trost. 

        Der Arbeitsaufwand  

        Wer bei Gericht Ansprüche stellt, muß den gesetzlichen Tatbestand nachweisen. Die derzeit gutachterlich dominierenden Mediziner leugnen aber Existenz der Krankheit und Ursache. So muß der Patient den positiven Beweis im juristischen Sinn selbst erbringen. Juristisch ist ein Beweis dann erbracht, wenn vernünftigen Zweifeln Schweigen geboten ist. 

        Musterprozesse scheitern meist daran, daß die individuellen Unterschiede der Erkrankungssymptome vielfältig sind und eine Verallgemeinerung nicht zulassen. 

        l. Schritt 

        Da Richter medizinische Laien sind, können sie nur überzeugt werden, wenn die Streitpunkte im Detail nachvollziehbar sind. 

        Dafür lautet die conditio sine qua non (unverzichtbare Voraussetzung): das Bestreiten und Leugnen der Gegenseite muß als widersprüchlich und abwegig präsentiert werden. Es hilft gar nichts, die Gegenäußerungen zu ignorieren. Man muß sich der leidigen Mühe unterziehen, die medizinischen Stellungnahmen der Gegenseite durch Würdigung im Detail zu widerlegen. 

        Die Gutachten und Atteste der behandelnden Ärzte sind i.d.R. zu kurz. Jeder Einzelbefund muß für den Verständnishorizont des Laien nachvollziehbar erläutert werden und weiterhin in den Zusammenhang mit dem normalen schulmedizinischen und toxikologischen Allgemeinwissen gebracht werden. Allein die Diagnose "MCS" ohne weitere Erläuterung ist völlig unzureichend. 

        2. Schritt 

        Erst jetzt kann die allgemeine Ahnungslosigkeit durchbrochen werden. Wie die Mehrzahl der deutschen Mediziner können sich auch Juristen und Journalisten nicht vorstellen, daß "so wenig" so große Folgen haben kann (vgl. z.b. taz v. 9.6.1997). 

        Unbedenklichkeitsgutachten können je nach Schadstoff bzw. Schadstoffkombination einen 
        Faktor 100 - 10 000 000 danebenliegen. Gründe sind Vernachlässigung von Nahrungskette, Körperakkumulation und Kombinationswirkungen. Obwohl ersteres über drei Jahrzehnte bekannt ist [Carson, Der stumme Frühling], zweiteres mehr als ein Jahrzehnt, müssen diese wissenschaftlichen Selbstverständlichkeiten in jeder Diskussion wieder haarklein erklärt werden, ggf. mit Bestätigung durch einen deutschen Professor oder ein Zitat aus einem gängigen Lehrbuch. 

        3. Schritt  

        Erst dann besteht eine Chance für den erfolgreichen Wissenschaftstransfer: der internationale Stand der Wissenschaft (USA) hat auf dem Gebiet der Umweltmedizin - bzw. klinischer Ökologie - einen dreißigjährigen Vorsprung. 

        Mit Hilfe des Standardwerks von Rea, dem großen Erfahrungsschatzes von Rapp, Studien der EPA und den Ergebnissen anderer klinischer Ökologen, kann und muß man anhand der Patientendaten - Enzym für Enzym, Befund für Befund - den Schaden erläutern. Eine große Hilfe ist die Golfkriegs-Veteranenstudie, der es gelungen ist, die oft als "unklare Beschwerdebilder" charakterisierten Wirkungen von Mischintoxikationen auf bekannte Syndrome zurückzuführen. Es ergibt sich dann quasi nebenbei, daß die Verständnislücken einiger Gutachter aufgeklärt werden. 

        Derart akribische gutachterliche Schreibarbeit kann von den behandelnden Ärzten in Attesten selten neben der täglichen Praxistägigkeit geleistet werden. 

        Der personelle Aufwand  

        Jeder Geschädigte kennt die Odyssee von Arzt zu Arzt: es dauert lange, bis man einen findet, der einen ernst nimmt, länger, bis die ersten - in Erkenntnis der Vergiftung und toxischen Belastung - brauchbaren Diagnosen gestellt werden und noch einige Zeit, bis die ersten hilfreichen Therapieansätze für den jeweiligen Gesundheitszustand gefunden sind. Nun vervielfacht sich das Problem. 

        Es genügt rechtlich nicht, allein aus den Diagnosen und Attesten der Ärzte vorzutragen. Ohne ein naturwissenschaftlich-juristisches Management ist es unmöglich, das Vorbringen der Gegenseite zu durchbrechen, indem deutlich wird, daß die Gegengutachter mangels Kenntnisse die öffentliche - gesellschaftliche, starre - Meinung nur in anderer Sprache wiedergeben. Das Gericht muß vielmehr den zwingenden Eindruck gewinnen, daß das wissenschaftliche Erkenntnisniveau des Patienten und seiner Gutachter deutlich überlegen ist, so daß statt "unklare Beschwerdebilder" anderes in den Vordergrund rückt: neben Schadstoffmonitoring das Effektmonitoring. In entsprechenden Fällen wurden schon erfolgreich angewandt: Cholinesterase, porphyrieanzeigende Parameter, MELISA-Test, Lymphozytenanzahlen usw. Manchmal reicht die Überprüfung der Wirkprofile der nachgewiesenen Substanzen in deutschen Lehrbüchern. Oft passen Wirkprofile und Synergismen, z.B. Faktor 10 bei Organophosphaten und Pyrethroiden gut mit dem Symptombild des Patienten zusammen. 

        Hilfreich ist ein Tagebuch zur Dokumentation von Karenz und Provokation, Therapieerfolgen etc. und nicht zuletzt für den geordneten Vortrag der Betroffenen. Es sollte alles dokumentiert sein, soweit möglich mit Bestätigung - quod non est in acta, non est in mundo (was nicht in den Akten steht, existiert nicht!). 

        Rechtshilfe und Rechtsfond  

        Umweltmediziner, Gutachter, Rechtsanwälte und Patienten sind der Meinung, daß ein Rechtsfond gegründet werden muß. 

        Die ständige Finanzierung kann über ein Erfolgsrecycling erfolgen: wer durch (fast) kostenlose Hilfe erhebliche Erstattungen, eine Rente und dergl. bekommt, gibt dem Fond etwas zurück. Problem ist jedoch das Startkapital. Folgende Strategien werden derzeit diskutiert: 
         

          • Bündelung gleichartiger Verfahren: 

          • Durch Bündelung von juristisch und medizinisch gleichartigen Fällen, so daß die Ergebnisse der Grundlagenarbeit für viele Fälle nutzbar werden, lassen sich die Kosten auf viele Schultern verteilen. 
          • Solidaritätskasse: 

          • Dabei ist jedoch zu befürchten, daß es schwierig sein wird, denjenigen, die bei der Zuteilung warten müssen, die Kriterien zu erläutern. 
          • Spenden, Benefiz: 

          • Die hierbei gemachten Erfahrungen haben gezeigt, daß es weniger am Engagement etwa von Künstlern mangelt, sondern an der professionellen Bekanntmachung. Ein Star, guter Wille und guten Ideen machen noch kein Publikum und keine Spender. 
        Wir erarbeiten eine rechtliche Grundlage in Form einer Satzung als Grundlage einer zu gründenden Organisation. Jeder professionelle Rat ist willkommen. Wir bitten um Zuschriften: finanzielle Angebote (bitte nur verpflichtende), Informationen (Urteile / Verwaltungsentscheidungen / Gutachten, wir garantieren ausschließlich anonymisierte Verwendung), Kontakte zu professionellen Veranstaltern wie z.B. Open Airs, Angaben über Patientenzahlen für eine Abschätzung für die Bundesrepublik.