27.6.1998 NÜRNBERGER NACHRICHTEN:
Sanierung belasteter Housing Areas läßt auf sich warten
27.6.1998 Nordbayerische Nachrichten: Es
wird mit Hilfe aus Bonn für ehemalige Housing Area gerechnet
25.6.1998 Nordbayerische Nachrichten:
Housing Area: Fußboden nach Absprache mit LGA
entfernt Korrekte Entsorgung
27.6.1998 NÜRNBERGER NACHRICHTEN
Sanierung belasteter Housing Areas läßt
auf sich warten
Harte Geduldsprobe
Zum PAK-Problem kommen besorgniserregende
Pestizidfunde
VON RAINER WORATSCHKA
NÜRNBERG Aufregung in der
Herzogenauracher Housing Area. Weil sich auch
vier Monate nach Bekanntwerden der
PAK-Belastung keine Sanierung
abzeichnete und seine Frau hochschwanger
war, griff ein Familienvater zur
Selbsthilfe.
Ohne das Gesundheitsamt, den
Umweltbeauftragten oder auch bloß die Nachbarn
zu informieren, riß er im Wohn- und
Schlafzimmer den verseuchten
Parkettboden samt Kleber, Estrich und
Dämmfilz heraus.
Experten warnen vor solchen
Kurzschluß-Reaktionen auch wenn sich die
Sanierer vorher, wie im obigen Fall, mit
Tips zur Schadstoff-Minimierung
versorgen. Um Gesundheitsgefahren zu
vermeiden, müßten Fachfirmen zugezogen
werden. Doch die kosten Geld. Und auch wenn
der Finanzminister Zuschüsse
versprochen hat bewilligt sind sie
noch lange nicht. Noch immer nämlich
herrscht Unklarheit über die richtigen
Meßmethoden.
Kritik am Fürther Modell
Eine Geduldsprobe für Hunderte von
Betroffenen in Nürnberg, Erlangen,
Herzogenaurach und Schwabach. Wegen der
finanziellen Unwägbarkeiten hat
sich bislang nur die Stadt Fürth zur
Parkettsanierung durchgerungen. Die
Kosten von mehr als 30 Millionen Mark
übernimmt dort die städtische WBG
in der Hoffnung, zwei Drittel
zurückzubekommen. Die Bewohner werden pro
Quadratmeter nur mit 60 Mark zur Kasse
gebeten.
Von Experten-Seite hagelte es prompt
Kritik. Kein Mensch in dieser
Republik versteht, warum in Fürth saniert
wird, ließ sich Jürgen Angerer,
Professor am Institut für Arbeits-,
Sozial- und Umweltmedizin in Erlangen,
vernehmen. Er verweist auf die
Untersuchungen von Kinder aus
Herzogenaurach, in deren Urin keine
erhöhte PAK-Belastung festgestellt
wurde. Unter den Betroffenen
hingegen gilt das Fürther Modell als
richtungsweisend. Schließlich könne
es niemandem zugemutet werden, für die
Sanierung 30 000 Mark vorzustrecken,
meint der Sprecherrat der Nürnberger
Pastoriussiedlung. Wir wollen nicht
mit einem Trinkgeld abgespeist werden,
dessen Höhe ungewiß ist.
Dabei geht es längst nicht mehr bloß
um die Parkett-Sanierung. Die
PAK-Problematik wird zunehmend durch
besorgniserregende Pestizid-Funde
überlagert. Es handle sich um ein
Problem, das dem der Belastung mit
polyzyklischen aromatischen
Kohlenwasserstoffen zumindest gleichzusetzen
ist, meint der Leiter des Fürther
Umweltanalyse-Labors Porst und Partner,
Dr. Ulrich Kestel.
Gift im Kleiderschrank
Tatsächlich sind die Pestizid-Funde
alarmierend. So ermittelte Kestels
Institut im Kinderzimmerschrank einer
früheren US-Wohnung in Herzogenaurach
rekordverdächtige 2080 Milligramm DDT pro
Kilo. Die Verwendung des
Insektengifts, das sich im Tierversuch als
krebserregend erwies, ist in
Deutschland seit 1972 verboten;
Umweltexperten zufolge liegt die zumutbare
Dosis im Hausstaub bei vier Milligramm pro
Kilo.
Entsprechend rigoros die Empfehlungen
des Fürther Labors. Der sechsjährige
Sohn mußte raus aus dem Zimmer. Sämtliche
Kleidung mußte zwei- bis dreimal
gewaschen, das Spielzeug komplett mit
Essigwasser abgebürstet werden. Seit
fast zwei Wochen sind wir zugange,
sagt Mutter Heidi Bittner. Dabei kennt
sie bislang nur die Schadstoffbelastung des
Einbauschranks. Wer weiß, was
noch im Putz oder in anderen Möbelstücken
steckt? Ich habe richtig Panik.
In einer anderen Wohnung der
Herzogenauracher Siedlung fanden sich 140
Milligramm des Nervengifts Lindan.
Konzentrationen von mehr als 100
Milligramm gelten als hochgefährlich.
Die Pestizidfunde in den Housing Areas
in Nürnberg lag der
DDT-Spitzenwert bei 1900 Milligramm im
Fußboden, in Fürth gar bei 808
Milligramm im Hausstaub rühren
offenbar von Gift-Cocktails her, mit
denen Kammerjäger der US-Army die
Wohnungen besprühten. Bevorzugtes Ziel
der Sprüh-Kommandos: mögliche
Schlupfwinkel von Insekten wie Bodenleisten
und Einbauschränke.
Diplom-Chemiker Kestel hat mittlerweile
sogar den Eindruck, daß das DDT
flächendeckend in die Wandfarbe
eingemischt wurde. In 15 von 20
untersuchten Wohnungen der
Pastoriussiedlung seien die Werte weit erhöht
in vieren bestehe sofortiger
Handlungsbedarf. Prof. Angerer sieht bislang
dennoch keinen Anhaltspunkt, daß in
den Housings mehr und häufiger hohe
DDT-Werte gemessen werden als in deutschen
Durchschnitts-Wohnungen. Dies
deckt sich mit der Ansicht des
Umweltbundesamtes und der Bundesregierung.
Irmgard Karwatzki, Parlamentarische
Staatssekretärin im Finanzministerium:
Es handelt sich um Einzelfälle, die
nach heutigem Kenntnisstand nicht mit
dem Ausmaß der PAK-Belastungen verglichen
werden können.
Anders Dr. Kestel. Er ärgert sich über
die Verharmlosung des
Pestizid-Problems. Sein Eindruck: Die
Leute werden vergackeiert. Bei
DDT-Werten von mehr als fünf Milligramm im
Hausstaub empfiehlt der
Chemiker, die Wohnung äußerst
argwöhnisch zu beäugen. Bei mehr als 50
Milligramm rät er zu Blutuntersuchungen.
In Erlangen haben die Pestizid-Funde der
Herzogenauracher für politischen
Druck gesorgt. Stadträte drängten die
zuständige Gewo-Bau, in sämtlichen
Wohnblöcken nach dem Gift zu suchen.
Gewobau-Chef Franz Bauer hatte
systematische Messungen vorher aus
Kostengründen abgelehnt.
Dabei waren DDT-Belastungen dort bereits
in einer Krabbelstube nachgewiesen
worden. Die Folgen bekam sogar ein
benachbarter Kindergarten der
Arbeiterwohlfahrt zu spüren. Eltern mieden
den Hort neuerdings, klagt
Awo-Geschäftsführer Harald Walter. Wenn
nichts geschehe, sei der
Fortbestand des Hauses gefährdet.
© NÜRNBERGER NACHRICHTEN
27.6.1998 Nordbayerische
Nachrichten
SPD läßt ihren Antrag ruhen
Entscheidung
steht bevor
Es wird mit Hilfe aus Bonn für ehemalige
Housing Area gerechnet
HERZOGENAURACH (l. h.) Abwarten
heißt die Devise, was die mit Wohngiften
verseuchten Räume der ehemaligen Housing
Area in der Flughafenstraße anbelangt. Weil
laut Bürgermeister Hans Lang in der
kommenden Woche mit einer Entscheidung in
Bonn gerechnet wird, ließ die SPD ihren
Antrag vorerst ruhen.
Darin wird gefordert, daß alle renovierten
Wohnungen auf das Vorhandensein von
polyzyklischen Kohlenwasserstoffen (PAK),
DDT und Lindan durch ein leistungsfähiges
Institut, vorzugsweise die
Landesgewerbeanstalt in Nürnberg, überprüft
werden. In Verhandlungen mit der Sparkasse
als Verkäufer sei die Übernahme der Kosten
durch das Kreditinstitut zu klären. Hilfsweise
könnte eine anteilige Übernahme durch die
Stadt erfolgen.
Angesichts der aktuellen Situation ein
Bewohner hat, wie berichtet, in Eigenregie
Estrich und Parkett entfernt forderte Peter
Prokop (SPD) eingangs, die Leute nicht ihrem
Schicksal zu überlassen. Die Stadt stehe in der
Verantwortung, eine saubere Lösung zu finden,
und die Sparkasse schließlich habe gut
verdient (Wann wird die Abrechnung
vorgelegt?). Prokop: So geht es nicht, wie
sich die Sparkasse verhält.
Bürgermeister Hans Lang beschwichtigte und
betonte, daß er nahezu täglich mindestens eine
Stunde lang mit dem zuständigen
Vorstandsmitglied Reiner Reinhardt in dieser
Angelegenheit spreche. Auch sei sich der
Bund seiner Verantwortung bewußt,
finanzielle Mittel bereitzustellen. Weil die
Lösung kurz bevorstehe, bat das
Stadtoberhaupt abzuwarten. Lang räumte aber
ein, daß die Nerven blank lägen.
Problematisch habe sich das Ganze gestaltet,
weil das Bundesumweltamt noch nicht
entschieden hat, welche Meßmethode
angewendet wird. Es gebe zwar Ergebnisse
aber noch keine Bewertungen. Gutachter
Professor Angerer wolle sich für eine
einheitliche Meßmethode einsetzen.
Zahlreiche Zuhörer aus der Pirckheimerstraße
verfolgten die Debatte, in der Bernd Müller
(Bündnis 90/Die Grünen) hart mit der
Sparkasse ins Gericht ging.
Menschenverachtend seien, so Müller, die
Aussagen des Vorstandsvorsitzenden Alfred
Bomhard in der Veranstaltung in der
Carl-Platz-Schule gewesen. Dabei habe die
Sparkasse eine kommunale Verantwortung und
nicht schlecht verdient.
Der Handlungsbedarf ist für Heinz Wirth
(CSU) nicht geringer geworden. Die Stadt
habe zugesagt, eine Vermittlerrolle zwischen
Bonn und Sparkasse zu übernehmen. Dies
könne aber nicht heißen, daß sie den Vorreiter
spielt und die volle finanzielle Verantwortung
übernimmt. Druck ausüben, damit etwas
geschieht, forderte Werner Distler (SPD). Er
brach eine Lanze für Gutachter Angerer,
dessen Kompetenz unbestritten sei. Wir
haben weder Grenzwerte noch gesicherte
Meßmethoden, warf Horst Körner (CSU) ein.
Auch er bat die SPD, sich noch zu gedulden.
Hätte man vorher etwas von den Wohngiften
gewußt, wäre die Sanierung leichter möglich
gewesen, ergänzte Hans Lang und führte als
Beispiel die Lebenshilfe an, die
ordnungsgemäß entsorgt hat.
Bei einer gebündelten Entsorgungsaktion in
der Pirckheimerstraße müßten die Bewohner
für eine gewisse Zeit wohl raus, was
zusätzliche Kosten verursache. Der
Bürgermeister versprach, daß nicht
gegeneinander gearbeitet werde. LEO
HILDEL
© NORDBAYERISCHE NACHRICHTEN
25.6.1998 NORDBAYERISCHE
NACHRICHTEN
Housing Area: Fußboden nach
Absprache mit LGA entfernt Korrekte
Entsorgung
Anfrage von MdL Irlinger Der
Bund beteiligt sich an den Kosten
HERZOGENAURACH (-eke) Einer
Hetzkampagne und Mobbing sieht Hans Leuschner
die Familie seiner Schwester Claudia ausgesetzt, die in der
Housing Area an der Pirckheimerstraße 25 Quadratmeter
Parkettboden herausreißen ließ, an dem PAK-kontaminierter
Kleber haftet. Wie berichtet, hatten Nachbarn in der
Wohnung Flughafenstraße 19 mit Empörung und Angst darauf
reagiert, daß die Familie Leuschner die zum
fraglichen Zeitpunkt nicht zu erreichen war das
Parkett aus ihrem Wohn- und Schlafzimmer entfernen
läßt. Das Argument: Die gesundheitsschädlichen
polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe würden
dadurch erst in die Umwelt freigesetzt, zumal in den
betroffenen Räumen anfänglich bei
offenen Fenstern gearbeitet worden sei.
Hans Leuschner nimmt allerdings dazu seine
Schwester in Schutz: Am 2. Juni beauftragten die Leuschners
die Landesgewerbeanstalt Bayern in Nürnberg, Ratschläge
zu einer sachgerechten Sanierung von mit PAK-haltigem
Kleber versehenem Parkett abzugeben. Der
Hintergrund: Claudia Leuschner ist hochschwanger und
entbindet in wenigen Wochen. Um sich und ihr Baby nicht
zu gefährden, läßt sie Parkett, Kleber, Estrich und
Dämmfilz entfernen nach den Vorgaben der LGA, wie
Hans Leuschner versichert. Diese sehen dem
Gutachten des LGA-Bereichs Umweltschutz, Raumlufttechnik
und Arbeitsplatzbeurteilung zufolge unter anderem vor:
Leerräumen der Zimmer und gründliche Reinigung des
Mobiliars (mit Schutzhandschuhen), Verkleben der Räume zum
Flur mit Folien, staubarmes Arbeiten (einsprühen),
geprüfte Sauger verwenden, Verpackung des
Entsorgungsmaterials in feste Säcke. Der Estrich
muß anschließend über eine dichte Rutsche in einen
verschlossenen Container ins Freie gebracht werden. Die
Sanierungsbereiche, so das Gutachten wörtlich,
können während der Maßnahme gelüftet werden.
Zunächst, so Leuschner, der auch
darauf verweist, daß die Lebenshilfe in ihrem
Gebäude an der Pirckheimerstraße den Boden herausriß,
werde das Material auf die Mülldeponie an der
Herzo-Base gebracht, anschließend als Sondermüll
entsorgt. Der SPD-Landtagsabgeordnete Eberhard
Irlinger fragte in der gestrigen Plenarsitzung des
Bayerischen Landtags, welche Erkenntnisse der
Staatsregierung über Schadstoffbelastungen durch PAK wie
die Pestizide Lindan und DDT in den Wohnungen der
ehemaligen Housing Herzogenaurachs vorlägen
und wann mit Entsorgung der Gifte zu rechnen
sei. In der Antwort von Staatssekretär Alfred Sauter
hieß es dazu ...eine etwaige Entsorgung der
belasteten Baustoffe liegt im
Verantwortungsbereich der Eigentümer. Unabhängig
davon habe Bundesfinanzminister Theo Waigel in einem
Gespräch mit dem Fürther Oberbürgermeister Wenning
betont, daß sich der Bund in allen vergleichbaren Fällen
an der Finanzierung beteiligen werde.
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